Kommentar

Karl Lauterbach will Gesundheitswesen auf Kriege vorbereiten 

Bernd Hontschik © ute schendel

Bernd Hontschik /  Auch im Gesundheitswesen brauche es eine «Zeitenwende», sagte der Gesundheitsminister. Er weiss nicht, wovon er redet.

Red. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Chirurg und Publizist in Frankfurt.



Es ist die Zeit der Zeitenwenden. Überall Zeitenwenden. 

Zeitenwende bei der inneren Sicherheit. Zeitenwende im Nato-Land Norwegen, an der Ostflanke, in der deutsch-finnischen Zusammenarbeit. Zeitenwende im Verhältnis zu Teheran. Zeitenwende in der Digitalpolitik. Zeitenwende am Biertisch. Zeitenwende zwischen Iran und Israel. Zeitenwende mit dem neuen Ultra-Handy samt Kameramonster. Zeitenwende in der Verteidigungspolitik. 

Und jetzt springt auch noch Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Zug auf: «Nichtstun ist keine Option. Es braucht eine Zeitenwende im Gesundheitswesen.» 

Was könnte er damit meinen? Endlich genug Geld für unsere Spitäler? Werden die börsennotierten Investoren endlich verjagt? Wird die private Krankenversicherung abgeschafft? Oder wird das Pflegepersonal endlich gut bezahlt? 

Weit gefehlt!

In Interviews wirft Lauterbach Ärztinnen und Ärzten vor, sie hätten sich seit Ende der 1980er-Jahre nicht mehr mit Fragen des Krieges beschäftigt. Deswegen sei unser Gesundheitswesen für den Katastrophenfall eines militärischen Konflikts nicht vorbereitet. Lauterbach ortet eine Gesetzeslücke und verspricht: «Wir werden das angehen.»

Konkret wurde Lauterbach gefragt: «Halten Sie es für notwendig, das Gesundheitswesen ‹kriegstüchtig› zu machen?» Lauterbach beanstandete den Begriff nicht, sondern antwortete: «…Wir müssen uns auch für (…) eventuelle militärische Konflikte besser aufstellen.» 

Es war dieses neue, frisch erfundene Wort, ganz harmlos und nebenbei kam es daher, und doch war es das entscheidende paradigmatische Wort: Es heisst «kriegstüchtig». Schon Platon hatte in seinen Nomoi gesagt, dass «sich jeder nicht erst im Kriege, sondern schon in Friedenszeiten auf den Krieg einüben (…) und dabei weder Frost noch Hitze scheuen» müsse.  

Oder ist die Kriegstüchtigkeit à la Lauterbach nur die moderne Version von «Si vis pacem para bellum», wie es Cicero in einer Philippika vor mehr als 2000 Jahren sagte («Wenn du Frieden willst, dann bereite den Krieg vor»)? 

Das Wort tüchtig ist aus der Mode gekommen. «Dem Tüchtigen gehört die Welt», heisst es, oder: «Das Glück ist mit dem Tüchtigen.» Da denkt aber niemand an Krieg! Dass ein Verteidigungsminister seine Armee kriegstüchtig machen will, wundert niemanden. Aber das Gesundheitswesen? Wie darf man sich ein kriegstüchtiges Gesundheitswesen vorstellen? 

Der Minister erklärte: «Im Krisenfall muss jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun ist.» Zuständigkeiten und Meldewege müssten klar sein, sagt er, Vorräte müssten angelegt werden, vorhandenes Personal und verfügbare Betten müssten bekannt sein. 

Das soll es gewesen sein?

Seltsam. Solche Banalitäten können doch im Ernst mit Kriegstüchtigkeit nicht gemeint sein. Es spricht absolut nichts dagegen, das Gesundheitswesen auf den plötzlichen Anfall vieler Kranker wie bei einer Epidemie oder auf den plötzlichen Anfall vieler Verletzter wie bei einer Natur- oder Verkehrskatastrophe so gut wie möglich vorzubereiten. Das ist eine originäre gesundheitspolitische Aufgabe, und zwar schon immer. Mit Kriegstüchtigkeit hat dies nichts zu tun.

Tatsächlich ist also «Kriegstüchtigkeit» des Gesundheitswesens ein Propagandabegriff ohne Inhalt. Der Begriff Kriegstüchtigkeit suggeriert, es ginge bei einem Krieg auf europäischem oder gar auf deutschem Boden wie im 20. Jahrhundert zu: Mann gegen Mann, Kompanie gegen Kompanie, Armee gegen Armee. Sollte es aber im 21. Jahrhundert zu einem Krieg in Europa kommen, so wird es ein atomarer Krieg von Grossmächten sein, dabei sicher auch ein Cyberkrieg. 

Wenn es beim Thema Krieg überhaupt eine Zeitenwende gegeben hat, dann ist es das Verkümmern der Friedensbewegung, dann ist es die massive Aufrüstung der Bundeswehr, dann sind es herbeigezauberte gewaltige Sondervermögen für Rüstungsausgaben, dann ist es Rheinmetall statt Fresenius im Dax. 

Pazifismus ist out. Dabei gerät in Vergessenheit, dass es bei einem Atomschlag – im Gegensatz zu Krankheiten oder Katastrophen – keine ärztliche Hilfe gibt. Da kann man das Gesundheitswesen noch so «kriegstüchtig» machen. 

«Wir werden euch nicht helfen können!», erklärten die IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) schon 1985 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises. Das gilt nach wie vor und das gilt für immer. 

In der Genfer Deklaration des Weltärztebundes von 1948 heisst es unverändert: «Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.» 

Von Kriegstüchtigkeit ist da nirgends die Rede. Si vis pacem para pacem («Falls du Frieden willst, bereite den Frieden vor»)!

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Dieser Beitrag erschien in der Ärztezeitung vom 25. April 2024.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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3 Meinungen

  • am 30.04.2024 um 11:50 Uhr
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    Atomschlag, auch ein Wort, das sich so einfach anhört. Wohin ein Atomschlag konkret führt und was das für Auswirkungen haben könnte, kann man sich im an Realismus wohl kaum zu überbietenden BBC-Film «Threads» vor Augen führen lassen. Ein Film, der schon in der Schule gezeigt werden müsste und den die aktuellen Kriegsbefürworter obligatorisch ansehen sollten, bevor sie den Mund aufreissen.

  • am 30.04.2024 um 11:55 Uhr
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    In Fragen des Gesundheitswesens ist man in den letzten Jahren gut gefahren, wenn man das Gegenteil von dem, was Gesundheitsminister Lauterbach proklamierte, als sinnvolle Lösung in Betracht zog. Dass Karl Lauterbach studierter und dozierender Arzt ist, der allerdings nie praktizierte, macht ihn zu einer tragischen Figur der deutschen Politik.

  • am 30.04.2024 um 12:11 Uhr
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    Die dringend notwendige «Zeitwende» im deutschen Gesundheitswesen wäre, den Karl Lauterbach zu entlassen.

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